Kolumbien – wirklich so anders?

Wie versprochen, folgt ganz bald der nächste Artikel, in dem ich ein paar Dinge abseits der Arbeit beschreibe und beantworte. „Wie, jetzt schon?“ – Ja, wir hatten gestern und heute frei, weil die Busunternehmen in ganz Bogotá streiken und wir so leider nicht ankommen konnten. Also genießen wir mal ein paar freie Tage.

Ich bekam vor meiner Reise und auch währenddessen oft die Frage gestellt:“ Ist es denn wirklich so gefährlich in Kolumbien?“
Die Frage zu beantworten fällt mir ein bisschen schwer, weil ich nicht möchte, dass Kolumbien immer nur mit seiner Gefährlichkeit assoziiert wird. Andererseits ist sie auch Bestandteil unseres Jahres und sollte auf jeden Fall erläutert werden.
Zunächst lässt sich erst mal sagen, dass Frithjof und mir, in den ersten etwas mehr als zwei Monaten, noch nichts passiert ist und dass, obwohl wir uns bisher ziemlich frei bewegt haben.
Trotzdem ist die Unsicherheit ein Teil unseren Lebens hier. Es wird einem von vielem Seiten geraten, bestimmte Bezirke der Stadt zu meiden, wobei trotzdem immer wieder betont wird, dass ganz Bogotá unsicher sei. Man könnte also immer damit rechnen, dass man auf offener Straße ausgeraubt wird, vor allem wenn es dunkel ist. Einer Lehrerin aus dem Projekt wurde letzte Woche im Bus, von drei mit Pistolen bewaffneten Personen, die Tasche geraubt. Das würde in Deutschland wahrscheinlich direkt in die Zeitung kommen.
Man macht sich hier also immer Gedanken: „Was nehme ich mit. Will ich wirklich den Rucksack mitnehmen? Und gar nichts dabei zu haben ist viellicht auch nicht gut, weil es im Falle eines Überfalls vielleicht unglaubwürdig wirken könnte.“ Und ich will nicht wissen, was bei einem Überfall, im Frust, alles passieren kann.
Letztes Wochenende waren wir Sonntags- und Montagabends auf einem einem Hip-Hop Festival, ganz in der Nähe. Auch hier hieß es vorher, dass es gefährlich sei, aber das heißt es, vor allem von Seiten der etwas älteren und besorgteren Lehrerinnen aus unserem Projekt, häufig. Das Festival war wirklich schön und eindrucksvoll. Es gab eine Bühne, aber die war dafür groß und der Park ziemlich voll! Zunächst habe ich mich nicht viel unsicherer gefühlt, als bei anderen Festivals in Deutschland auch. Gerade angekommen, sahen wir dann das erste mal, wie plötzlich hunderte Leute aus der Mitte der Menschenmenge wegrannten. Zunächst war ich etwas geschockt und wusste nicht genau was dort passiert. Auch jetzt bin ich mir noch nicht ganz sicher. Diesen Vorgang haben wir in den zwei Tagen vielleicht so 7-8 mal gesehen und ein Mal in unmittelbarer Nähe. Bei diesem sah ich vielleicht Zehn Personen in die Menge drängen, einer zumindest mit Teleskopschläger bewaffnet und schon sind alle gerannt. So wie ich es verstanden habe, diejenigen, mit den wir da waren, wollten nicht so recht drüber sprechen, ging es darum die Leute zu beklauen. Naja uns ist nichts passiert, aber etwas suspekt war es mir schon. Ich konnte es zunächst absolut nicht einschätzen, auch weil anschließend die Leute wieder zurückkehrten, als wäre nichts gewesen.

Bei einem Jazz Konzert an einem der ersten Wochenenden, so wie bei dem Calle 13-Konzert letztes Freitag, war die Stimmung dagegen ganz anders und Ich hatte absolut nicht das Gefühl in eine gefährliche Situation kommen zu können.

Ein weiterer Punkt, ist das Sicherheitspersonal und die Polizei, welche sehr stark vertreten sind in Bogotá. Jede Bank, Fabrik, Firma, Kaufhaus etc. wird 24h von einem Sicherheitspersonal überwacht. Es gibt viele Kameras und auch die Polizei ist wesentlich stärker vertreten als in Deutschland. Es heißt es habe sich in den letzten 20 Jahren viel verbessert und wenn ich gleich meinen täglichen „arepa con queso“ essen gehe, dann wird mir schon nichts zustoßen.

 

 

„Luis, hast du Heimweh? Vermisst du Deutschland? Magst du Deutschland?“

 

-Sind Fragen, die Ich aus Deutschland, aber auch von hier häufig zu hören bekomme.

Deutschland hat hier in Kolumbien, wie in wahrscheinlich vielen anderen Teilen der Welt auch, ein sehr hohes Ansehen. (Bei den Kleinen aus dem Projekt vielleicht auch durch die letzte Fussball Wm bedingt). Viele Erwachsene würden gerne Deutsch lernen oder mal nach Deutschland reisen und oft bekommen wir ziemlich erstaunte Blicke zugeworfen, wenn wir erzählen wo wir herkommen. Als wäre Deutschland eine andere Welt. Aber dazu später.

Momentan habe ich kein Heimweh und fühle mich ziemlich wohl mit meiner Entscheidung nach Kolumbien gegangen zu sein. Das Projekt hätte Ich mir nicht viel besser vorstellen können, und auch sonst kommen so langsam einige Dinge ins Rollen. Die Wohnung wird hoffentlich die Woche gewechselt und morgen gehe ich mir eine ziemlich vielversprechende Turnhalle anschauen! Auch die Orientierung zu Fuß und mit Bus funktioniert immer besser. Der Freundeskreis ist bis jetzt leider noch nicht so groß. Bisher unternehmen wir viel mit den Lehrern aus dem Projekt, unserer Mitbewohnerin und ihren Bekannten, oder mit zwei Gleichaltrigen, die im Projekt groß geworden sind und neben dem Projekt wohnen.

Die Freunde und Familie vermisse ich schon ein wenig und die Beziehungen, die man in den letzten Jahren aufgebaut hat, lassen sich hier in ein paar Wochen nicht ansatzweise aufbauen. Auch sonst vermisse ich ein paar Dinge, die ich von Zuhause gewohnt bin. Zum Beispiel leckere Nudeln, da man Wasser auf 2600m nicht so heiß kochen kann und sie einfach immer weich werden. Oder die Freiheit zu haben, tun und lassen zu können, was ich möchte. Nicht darauf achten zu müssen, ob der Taxifahrer vertrauenswürdig aussieht, obwohl man vielleicht schon das ein oder andere Bier getrunken hat.
Ich schätze viele Dinge an Deutschland und man wird sich hier noch einigen weiteren Besonderheiten Deutschlands bewusst. Den Einfluss, den Deutschland auf die Welt hat, wie viele Dinge in Deutschland erfunden, hergestellt, komponiert oder geschrieben worden sind.
Aber auch hier in Kolumbien gibt es viele Dinge, die man zu schätzen lernt und die Ich mit Sicherheit nächstes Jahr vermissen werde.
Diese Dinge lassen sich vielleicht ganz gut erklären, wenn Ich ein bisschen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausstelle, die Ich bisher festgestellt habe.

Wirklich auffällig und wahrscheinlich auch der Grund dafür, die ersten Wochen nicht so richtig realisiert zu haben, dass ich bereits in Kolumbien bin, ist, dass auf den ersten Blick viele Dinge gut zu vergleichen sind. Es sind die gleichen (s*****) Marken, wie Nestlé, Coca-Cola etc., die den Markt bestimmen. Der Tagesablauf ist ähnlich, die Gespräche und Gefühle der Menschen handeln sich um die gleichen Themen und den Leuten sind ähnliche Sachen wichtig. Es gibt große Einkaufszentren und wenn man sich in Ihnen befindet könnte man überall auf der ganzen Welt sein. Oder das Vorurteil, dass die Deutschen so gerne trinken. Hier wird auch sehr viel getrunken, allerdings wesentlich mehr hochprozentiger Alkohol, wie Rum oder Aguadiente.

Anders, als im Vergleich zu Deutschland steht zunächst vor allem das enge Verhältnis zur Familie. Häufig ist man auf irgendwelchen Geburtstagen von Cousins und Cousinnen, Geschwistern oder Tanten. Die Studenten verlassen für das Studium, auch des Geldes halber, oft erst nach dem Studium das Elternhaus und unsere Mitbewohnerin ist quasi jeden Tag bei ihren Eltern Zuhause.
Außerdem ist mir aufgefallen, dass einem unheimlich viele und oft auch (zeit-)aufwändige Gefallen getan werden, die einem in Deutschland oft nicht ein mal von den engsten Freunden getan werden würden. Was uns in einer unorganisierten Stadt wie Bogotá, sehr zugute kommt. Erwähnt man, dass man etwas bestimmtes braucht, sich anschauen möchte oder lernen möchte, dann hat man schnell spontane Begleitung, obwohl die Person sich eigentlich etwas ganz anderes vorgenommen hat. Zum Beispiel habe ich nebenbei beim Mittagessen erwähnt, dass ich gerne ein Ohrloch hätte und wir sind noch am selben Tag eins Stechen gegangen. Oder auch bei der Wohnungssuche hatten wir mehrere Tage hintereinander stundenlange Unterstützung. Und das wir jetzt schon zehn Tage bei Carolina’s Familie im Wohnzimmer hausen und es wirklich gar kein Problem ist. Ich könnte noch einige weitere Sachen nennen.
Die Zeit ist hier einfach anders. Nicht so wichtig wie in Deutschland. Die Leute gehen langsamer und auch sonst läuft vieles einfach langsamer. Was nicht unbedingt negativ ist, aber auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig. Oft verbringt man Zeit bei irgendjemandem, obwohl man (Ich) eigentlich gerne los möchte. Zum Beispiel nach Ende der Arbeit wartet man bis alle fertig sind, nur um die 100m lange Treppe zusammen runterzulaufen. Genauso ist es mit der Pünktlichkeit, was uns sehr gelegen kommt, da wir wirklich unsere Schwierigkeiten haben morgens rechtzeitig zum, mehr oder weniger gemeinsamen, Eröffnungskreis zu kommen. Oft ist es einfach der Verkehr, der ein pünktliches ankommen verhindert. Eine weitere „Unart“, vielleicht aber auch nur von unser Mitbewohnerin, ist es am Telefon zu behaupten in 10 Minuten am Treffpunkt zu sein, dann aber erst eine Stunde später zu kommen. Man darf das halt nicht persönlich nehmen.
Musikalisch und vor allem auch rhythmisch sind die Kolumbianer bisher wirklich ziemlich stark. Ein mal waren auf einer Geburtstagsfeier eines Praktikanten aus dem Projekt und nachts um zwei haben 5-6 Leute ein spontanes zweistündiges Konzert, mit Gitarre, Trommeln, Rasseln und Gesang inszeniert. Das war echt klasse!
Zu guter letzt ist die Archtektur einfach unterschiedlich, als in deutschen Städten. Die Häuser sind meistens zwei-/dreigeschossig und selten höher als vier Stockwerke. Da es keinen Frost gibt, sind die Hauswände auch ziemlich dünn und die Häuser von daher auch schalltechnisch ziemlich bescheiden. Der Verkehr ist, wie bereits mehrfach beschrieben, ein einziges Chaos. Und wenn die Autos wieder ein mal total unnötig Hupen, dann hagelt es öfter mal die ein oder andere deutsche Beleidigung. 😉

Soweit erst mal wieder von mir. Ich hoffe euch gefallen meine Einträge und ich würde mich freuen den ein oder anderen Kommentar zu erhalten!

Euer Luis

 

 

4 Gedanken zu „Kolumbien – wirklich so anders?

  1. Ich finde Streiks sinnvoll, vor allem in Kolumbien. Dann hast Du endlich Zeit,
    Deine wahren Geschichten zu erzählen, die ich sehr spannend finde. Danke, weiter so..

  2. Sehr schön geschrieben! Hat mir einen guten Einblick in dein Leben in Kolumbien gegeben und gleichzeitig kann ich vieles auch hier in Argentinien in etwas anderer Form wiedererkennen!

  3. Hey! Irgendwie habe ich deinen Blog gefunden. Ich wollte mal wissen, wie es den anderen Freiwilligen so ergeht. Schöne Texte bis jetzt!
    Genieße deine freie Zeit gerade und erzähle mir mal beim nächsten Treffen (wahrscheinlich in Deutschland) noch mehr vom Calle 13 Konzert..ich bin neidisch 😉

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